Carl Schuchs Werk war damals nur engsten Freunden bekannt. Finanziell unabhängig, hatte er zeitlebens selten ausgestellt, wenig verkauft, einiges verschenkt. – Ein paar Gemälde aus seinem Nachlass (je zwei Stillleben und Landschaften), im Herbst 1904 präsentiert in einer renommierten Berliner Kunsthandlung, genügten Museumsdirektoren und Kunstsammlern beherzt zuzugreifen. Wenig mehr als ein Jahr später, seit der Deutschen Jahrhundertausstellung 1906, die sein «Selbstbildnis», den «Hummer» und anderes zeigte, war Schuchs Werk in aller Munde. Seither gilt er als Maler des «Leibl-Kreises». Sein Werk ist damit eher schlecht als recht eingeordnet, denn die Leibl-Episode fand 1876 mit Schuchs Übersiedlung nach Venedig ihr Ende. Und spätestens seit seiner Niederlassung in Paris im Herbst 1882 knüpfte er an die französische Tradition an, an Camille Corot, Gustave Courbet, Charles-François Daubigny. Bei Edouard Manet und den Impressionisten fand er zugleich Denkanstöße, die sein Schaffen in neue Bahnen lenkten. Schon vorher strebte er weg von der Wiedergabe sichtbarer «Realität», sei sie noch so authentisch – hin zur, wie er selbst formulierte, «ätherischen Essenz der Erscheinung».
Von Anfang an war es die Farbe, der Schuchs Aufmerksamkeit galt. Wie seine Notizen belegen, erwiesen sich bewährte Rezepte älterer und anderer als Sackgassen, das Studium verehrter Meister als zweischneidig. 1885 hielt er schließlich Prinzipien fest, die ihm zum Durchbruch zu einer Malerei verhalfen, die er bereit war als seine eigene zu betrachten. Im Zentrum seiner Überlegungen stand fortan die «koloristische Handlung», die den 1889 von Maurice Denis formulierten Ordnungsruf vorwegnimmt, ein Gemälde sei zunächst einmal eine nach willkürlichen Kriterien geordnete Fläche. Denis und vorher Schuch entzogen damit der Malerei den Anspruch, Realität abzubilden – an ihre Stelle trat deren Interpretation.
Mit dieser Subjektivität einher geht einerseits eine ungeheure Spannung zwischen Ruhe und Spontaneität, andererseits eine ungebremste Lust am Experiment – und dessen akribischer Vorbereitung. Zeitweilig nahm sich Schuch offenbar viel Zeit, seine Kompositionen zu prüfen, ehe er begann, sie auszuführen. Später wandelte er seine Vorgehensweise ab, ließ anscheinend Parallelversionen wachsen, ohne sich auf eine davon zu verpflichten: Der ganze Kürbis oder nur eine Schnitte davon – ihm gelang beides.
Beizeiten publik gemacht, sollten Schuchs Arbeiten insbesondere aus seinen Jahren in Paris hingereicht haben, sich als Künstler von Rang zu etablieren. Es kam anders, bis Schuch selbst meinte, den Zeitpunkt, an die Öffentlichkeit zu treten, verpasst zu haben. – Damals kämpfte er bereits gegen den psychischen Verfall. Seine Arbeiten aus den folgenden Jahren, allesamt schlichte Bleistiftzeichnungen, künden nur noch vom Erlöschen seines brillanten Geists.
Schuchs Werk war von Kollegen und ist bei Fachleuten und Sammlern hochgeschätzt. Kaum ein renommiertes Museum Mitteleuropas mochte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darauf verzichten. Nach 1945 freilich geriet Schuch der sich globalisierenden Kunstszene aus dem Bewusstsein. Blieb «der großartige Stil der Objektbeherrschung von der Farbe und Bildfläche her, der sich, ganz originell, neben den besten Werken Cézannes hält», den Schuch laut Arnold Gehlen unter Verweis auf das hier abgebildete Gemälde «kurz vor seinem Zusammenbruch um 1890 in seinen Landschaften vom Saut du Doubs» erreichte – blieb Schuch «folgenlos», wie Gehlen beklagte? Schuch mag keine künstlerische Nachfolge gefunden haben, aber rührt dies an sein Œuvre? Es war und ist durch und durch eigenständig, steht – wie das Cézannes – als erratischer Block quer zu zeitgenössischen Strömungen und Moden. Schuchs Arbeiten bedürfen freilich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Betrachters – der «moderne Blick», die von Walter Benjamin beobachtete Rezeption «in Zerstreuung» verstellt offenbar den Zugang, nachhaltig.
Auf einen Blick zu fassen ist Schuch nicht. Gelegentlich änderte er seine Bildkonzepte radikal. In diesen «Stromschnellen» nahm er ein Viertel des Bildes mit dem Palettmesser weg, deutete mit ein bisschen Weiß sein Ziel an – und beließ es dabei. Die Frage, ob das Gemälde vollendet oder unvollendet sei, stellt sich bloß dem Händler. Der Sammler wird dessen Eigenart schätzen, und dem Künstler war das Infinito schlicht Inspiration zur Weiterarbeit, sobald sich Gelegenheit bot.